Edle Kastanie
Langsam, aber sicher zieht der goldene Herbst über die Berge, Wälder und Wiesen des Burggrafenamtes. Die Tage werden kürzer, die Luft klarer,
die Strahlen der Sonne spürbar sanfter. Und wo bis vor kurzem sattes und saftiges Grün die Sicht dominierte, breitet sich nun langsam aber
konsequent ein beruhigender Flickenteppich aus orangen und roten, gelben und rostbraunen Farbtönen aus. Es sind die ersten, zaghaften Vorboten
der sich anbahnenden kalten Jahreszeit, in der Körper, Geist und Natur zur Ruhe kommen, Altes vergeht und Neues entsteht.

Doch halt, noch ist es nicht soweit. Der Herbst wartet mit genügend Arbeit auf. Das Vieh wird von den Weiden zurück ins Tal gebracht, das Herbstgemüse vom Feld in den Keller geholt, im Garten reifen Kaki und Feigen, Obstbauern klauben Äpfel und Birnen von den Bäumen und Nüsse vom Boden und die Weinbauern beginnen
mit dem Wimmen der Trauben in den Hängen rund um Lana. Müdigkeit macht sich breit und heimliche Vorfreude auf das, was kommt, wenn sich das letzte Weinlaub goldgelb färbt und sich die Keller der Bauern in Lana, Völlan, Tscherms, Burgstall und Gargazon mit Trauben füllen. Es ist Südtirols „fünfte Jahreszeit“, die Törggelezeit, die nun beginnt. Mit ihr einher geht der Auftritt eines ganz besonderen kulinarischen Sterns, einst Grundnahrungsmittel der bäuerlichen Bevölkerung in Notzeiten, heute Herbstdelikatesse mit dem Potenzial, sich immer wieder neu zu erfinden: die Kastanie
Der heimliche Star
Doch beginnen wir von vorne: Die ursprünglich aus Kleinasien stammende Edelkastanie wurde auf den Mittelgebirgsterrassen des Etschtales schon früh kultiviert. Wer sich hier, im südlichsten Teil des Burggrafenamtes, in Lana und auf dem darüber gelegenen Mittelgebirge von Ackpfeif, Rateis, Völlan, Naraun, Tisens, Prissian und Grissian bewegt, stellt schnell fest: Die Nussfrucht gehört seit Jahrhunderten zum Erscheinungsbild dazu. Der kalkfreie Boden und das milde Klima bekommen dem Baum besonders gut. Die hohe Qualität der Kastanien aus dem Burggrafenamt wurde bereits im „Tiroler Landreim“ von 1558 erwähnt. Georg Rösch von Geroldshausen, der Verfasser dieses ersten in Tirol in deutscher Sprache gedruckten Gedichts, bezeichnete die Gegend um Lana als Ursprung der beschtn Keschtn, also der besten Kastanien, in Tirol. Und so ist es bis heute geblieben. Die tiefe Verankerung der Kastanie findet sich auch in den Flurnamen der Gegend wieder: der Keschtbamwaal (Kastanienbaumwaal) in Tscherms oder auch die Hofbezeichnung Köstenholzer (Kastanienholz) in Lana und Völlan sind nur einige der Beispiele, die bis heute überdauert haben. Und vielleicht liegt es auch an dieser historischen Verbundenheit, dass mit den seit vielen Jahren in Lana abgehaltenen Kastanientagen
„Keschtnriggl“ ein nicht unerheblicher Beitrag zur Rettung der Edelkastanie geleistet werden konnte. entführt werden – mir ist das noch nie passiert, aber vielleicht euch...? 
 
Kastanien und Wein
Die Geschichte zeigt, dass die Kastanie schon immer in enger Verbindung mit dem Weinbau kultiviert wurde. So wird das witterungsbeständige Holz seit jeher für das Erbauen der traditionellen „Pergl“, also der Gerüste, in den Weinbergen Südtirols verwendet. Und so verwundert es auch nicht, dass das von Weinbau geprägte
Etschtal neben den Mittelgebirgsterrassen des Eisacktals sowohl zu den klassischen Kastanienanbau- als auch zu den typischen Törggelegebieten Südtirols gehört. Der Name Törggelen stammt übrigens vom lateinischen Wort torquere, womit das Pressen der Trauben gemeint ist. Zum Einsatz kam die Weinpresse, die sogenannte Torggl. Damals wie heute wird das traditionelle Törggelen in den Kellern und bäuerlichen Buschenschankbetrieben von Lana und Umgebung gerne mit einer kleinen Wanderung durch die herbstlich bunte Landschaft eingeleitet und mit dem Verzehr der "Keschtn", über offenem Feuer in einer langstieligen, mit Löchern versehenen Pfanne gebratenen Kastanien abgeschlossen. Die hochwertig und schmackhaft zubereiteten Törggelegerichte aus der Südtiroler Bauernküche, die Gerstsuppe, die Knödel und die Schlachtplatte mit Sauerkraut, Blut- und Hauswurst, passen perfekt zum Südtiroler Wein. Der süße, nur schwach vergorene Traubenmost Sußer (Süßer) und die herrlich knusprigen und mit Kastanien gefüllten Bauernkrapfen runden die kulinarische Reise ab. 

Der Tradition verpflichtet

Auch auf der gegenüberliegenden Seite der Etsch, wo sich Burgstall an den Tschögglberg lehnt, treten die Blätter der Kastanien aus dem
Mischwald hervor. Hier findet sich auch die erste und einzige private Kastanienbaumschule Südtirols „Kösti“. Johann Laimer, Kastanien- und Weinbauer und ehemaliger Landschaftsgärtner, betreibt diese seit 2009 und pflanzt rund 5.000 Bäume pro Jahr. Für den Verkauf erntet er rund 4.000 Kilogramm Kastanien pro Saison, welche er zusammen mit seiner Familie in Handarbeit vom Boden aufklaubt. Von Anfang Oktober bis Anfang November brät Laimer seine Kastanien vor dem Informationsbüro und an den Adventswochenenden auf dem Sterntaler Weihnachtsmarkt in Lana.
 
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