Magische Momente - Die Spronser Seen

Magische Momente - Die Spronser Seen

Was für eine geniale Kombination? In den Bergen unterwegs sein und zur Abkühlung in einen See springen

Für einen bergsteigenden Fischkopf wie mich immer wieder eine wunderbare Art, Gebirge, Gespräche und Gewässer miteinander zu verknüpfen. Besonders eindrucksvoll ist es meist dann, wenn ich den unzähligen Spitzen aus einem der zahlreichen Seen meine volle Aufmerksamkeit schenken kann. Wie an den Spronser Seen in der Texelgruppe in Südtirol.

Der Tag ist noch nicht so alt. Vor einer guten Stunde erst hat die Dämmerung eingesetzt. Die Sonne versteckt sich etwas diffus hinter einigen Wolken. Ich stehe in Partschins im Meraner Land an der Bushaltestelle. In einigen Minuten werde ich von Erich Unterthurner abgeholt.
Der 69-Jährige ist Wanderführer, pensionierter Lehrer, passionierter Bergwachtler und ein Geher. Einer, der anderen Menschen gerne seine Heimat zeigt. Heute steht die Runde zu den Spronser Seen in der Texelgruppe auf dem Programm. Da biegt Erich mit seinem Auto um die Ecke, fährt auf den Parkplatz, kurbelt die Fensterscheibe seines PKW herunter: „Grias di“, ruft er mir freundlich zu. „Steig‘ ein.“
Keine Viertelstunde später parken wir das Auto vor dem Meraner Bahnhof. Treffpunkt an der Bushaltestelle. Sieben weitere Wanderfreundinnen und Freunde warten schon. „Guten Morgen“, sagt Erich, „dann pack‘ mers.“ Gut eineinhalb Stunden fahren wir mit dem Bus in Passeiertal, bis ganz ans Ende nach Pfelders. Wo das Tal einen Kessel bildet. Im Norden ragen steile Wände des österreichischen Ötztals in die Wolken. Im Südwesten die Texelgruppe. Oder wie die Südtiroler auch sagen: „Gruppo di Tessa.“ Ein gut erschlossenes Gebiet mit viel Platz für Ruhesuchende. Irgendwie liegt es mittendrin, aber es steht nicht wirklich im Zentrum des Massentourismus. Obwohl es alle Qualitäten besitzt, um viele Menschen mit Wander-Gen anzuziehen.
Die Berge der Texelgruppe, die zu den Ötztaler Alpen gehören, sind der größte Naturpark der italienischen Provinz Bozen – Südtirol. Der Regionalpark wurde 1976 gegründet. Er umfasst eine Fläche von mehr als 32.000 Hektar. Zahlreiche Orte schmiegen sich in den tieferen Lagen an den Gebirgsstock: Algund, Moos im Passeier, Naturns, Schnals, St. Martin, Partschins, und das Dorf Tirol.
Mindestens 13 satte 3000er finden sich hier. Manche sprechen auch von 16. Mit 3.337 Metern sind Roteck und Texelspitze (3.318m) die höchsten Gipfel. Hohe Weiße mit 3.281 Metern und Trübwand mit immer noch stolzen 3.266 Metern folgen.
Doch heute geht es nicht darum, Gipfel zu sammeln, sondern um Genusswandern. Erich Unterthurner erkundet wieder einmal die Spronser Seen. „In dieser Saison bin ich schon zum vierten Mal hier.“ Von Pfelders aus ins Dorf Tirol. Quasi einmal diagonal quer über das Gebiet.
In Pfelders ist so früh kaum Betrieb. Die Seilbahnen laufen noch nicht. Im Sommer gehört das Terrain den Wanderern, den Tagesausflüglern und den Kühen auf den zahlreichen Almen.
Wie auf der Faltschnalalm etwa. Sie liegt rund 250m über Pfelders. Wir erreichen sie durch einen mäßig steilen Aufstieg durch den Wald. Eine gute Erwärmung für einen langen Wandertag. Erste Schweißperlen rinnen den „Berggeherinnen“ und „Berggehern“ von der Stirn. „Gottseidank brennt heute die Sonne nicht so sehr“, atmet Karsten Veltrup durch. Kurze Pause. Erich Unterthurner erzählt und zeigt Richtung Stettiner Hütte. Sie ist nach langer Unterbrechung wieder geöffnet. „Noch nicht so lange…“, sagt der Wanderführer.

2014 zerstört eine Lawine das Haus, das in Italien besser unter dem Namen Rifugio Francesco Petrarca bekannt ist. Benannt nach dem Dichter, der im 14. Jahrhundert wohl als einer der ersten Menschen aus Genuss auf einen Berg steigt und somit als Urvater des Alpinismus gilt.
Zurück in der Gegenwart: Wir biegen nach Südwesten auf einen breiten und gemächlich ansteigenden Fahrweg ein und schlendern Richtung Faltschnaljöchl. Daneben rauscht ein wilder Bach, immer wieder liegen widerkäuende Kühe in der Wiese und wackeln adrett mit ihren Glocken.
Das Faltschnaljöchl auf gut 2.400m immer im Blick. Nach etwa 2,5 Stunden stehen wir auf dem Kamm, schauen und horchen. Einige Höhenmeter tiefer ziehen etliche Dutzend Rinder an der kleinen Almhütte vorbei. Ein Schauspiel, ein Berg-„Muhvie“. Titel: „Kuh vadis!“
Jetzt geht es noch einmal knapp 200 Höhenmeter hinauf, durch karstiges Gelände zum Spronser Joch auf fast 2.600m. Ein kühler Wind pfeift über die Scharte. In der Senke funkeln die ersten zwei von insgesamt zehn Spronser Seen. Lang- und Kesselsee. Innehalten. Durchatmen. Genießen. Dunkel, still und verwunschen kräuseln sich die Wasseroberflächen. Kurzzeitig lugt die Sonne hinter den dichten Wolken hervor. Für einen Augenblick schauen wir in tiefgrüne große Augen. Mystische Metamorphose im Meraner Land. Für mich ein magischer Moment.
Nur wenige Schritte weiter und etwa 100m Höhenmeter tiefer wartet der Schiefersee. Der Schwarzkopf, ein 2.805m hoher wundervoller Aussichtsberg hüllt sich in flauschige Wolken. Andere Wanderer rasten am Ufer. Im glatten Wasser des Sees spiegeln sich die weißgrauen Felsen. Unter der Oberfläche schwimmen kleine Fische umher. Wie kommen sie hierher? „Eingesetzt“, erzählt Erich Unterthurner, der etwas besorgt zum Himmel schaut. „Hoffentlich bleibt es trocken!“ Der Wanderführer möchte schließlich am Oberkaser (bewirtschaftete Alm) draußen und am besten in der Sonne sein Mittagessen genießen.
Aber vorher steigen wir weiter ab. Zum Grün- und Langsee. Letzteren hatten wir schon aus der Ferne bewundert. Jetzt sehen wir die tatsächlichen Ausmaße. Mit gut einem Kilometer Länge und bis zu 250m Breite ist er hier oben das größte Gewässer weit und breit. Und, wie die anderen Seen auch ein wichtiges Trinkwasserreservoir für die gesamte Region. „Die anhaltende Trockenheit“, erzählt mir Karin Thaler, die Geschäftsführerin vom Tourismusverein Partschins später, „wird zunehmend zu einem Problem.“
Noch einmal ein kurzes Päuschen. Ich nutze die Gelegenheit und schwimme im fast kreisrunden Grünsee. Eingekesselt von hohen Felswänden. Unter mir dunkelgrüne Tiefe. Wieder lässt sich kurz die Sonne blicken. Wie ein Laserschwert durchschneiden die Strahlen den kühlen Hochgebirgssee. Ein Fächer aus Licht und Schatten. In allen erdenklichen Grün-Tönen. So schön. Schade nur, dass eine Wolke die Lichtspiele jäh beendet. Doch dieser Moment bleibt haften. Eingebrannt auf der Festplatte der Erinnerungen. Für schlechte Zeiten, wenn ich mich mal wieder frage: warum, was soll das und überhaupt? Erinnerungen sind ein endloser Energiespeicher. Finde ich.

Gut 20 Minuten später sitzen wir auf der Oberkaseralm. Nochmal Energie tanken für den Abstieg. Kaiserschmarren, Gulasch, Nudeln, selbstgemachte Hauswurst, Apfelstrudel, – wir bestellen das volle Programm. Obwohl das Wetter eher durchwachsen daherkommt. Hier auf etwas mehr als 2.100 Metern herrscht Betrieb. Almwirt Stephan Burger klagt dennoch ein bisschen. „Wir finden kaum mehr Personal. Vielen Menschen ist das hier wohl zu anstrengend.“ Dann lacht er, klopft Erich Unterthurner fast zärtlich auf die Schulter, bedankt sich und nimmt weitere Bestellungen entgegen. Am Nachbartisch wählen die Wanderer Lammbraten aus eigener Produktion und Speckknödel. Lecker und deftig geht es zu, wie es sich für eine Almhütte gehört.
Weiter. Wieder hinunter. Auf dem Jägersteig, vorbei an Kaser- und Pfitscherlacke. Still zählen wir die zahlreichen Stufen, die den Abstieg erleichtern sollen. Bei 987 habe ich aufgehört. Es folgen noch mindestens genauso viele. Immer wieder Ausblicke ins Meraner Land. Auf die gegenüberliegenden Sarntaler Alpen, hinüber nach Hafling (dort kommen die braven Arbeitspferde her) und hinunter ins Dorf Tirol. Ganz weit in der Ferne erkennen wir schemenhaft die Zacken und Spitzen der Dolomiten.

Gut zweieinhalb Stunden dauert der Abstieg über den Mutkopf bis zum Gasthaus Hochmut. Dort wartet die Seilbahn. Gerade zur rechten Zeit. „Mir qualmen die Socken“, höre ich mehrfach. Als wir im Dorf Tirol ankommen, schlägt die Schwüle des fortgeschrittenen Nachmittags noch einmal zu. Im Vergleich zu den kühlen Spronser Seen ist es hier unten fast schon tropisch warm. Gut für die zahlreichen Apfelplantagen- und Weinstöcke, denen dieser Landstrich ein großes Stück seines Wohlstands verdankt. Für viele Gäste ist das hier das Schlaraffenland, für Wanderer ein Paradies.
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