Romina Casagrande


☛ Schriftstellerin

 
Die Meranerin liebt die Natur und die Berge, die Kunst, Gartenarbeit und Farben. Nach dem Studium der klassischen Literatur studierte sie in Trient Kulturerbe. Sie unterrichtet Literatur an der Mittelschule Giovanni Segantini in Meran und veröffentlichte zahlreiche Romane, die teilweise in deutsch, französisch und arabisch erschienen sind.



Sie haben elf Romane veröffentlicht, arbeiten für Museen und sind als Mittelschullehrerin tätig. Wie bewältigen Sie dieses Arbeitspensum?

Alles, was ich tue, ist mit einem roten Faden verbunden, und oft werden meine Forschungen zur Grundlage meines Schreibens. Unterrichten ist für mich eine große Herausforderung und eine große Verantwortung: es bedeutet, den jüngeren Generationen das Handwerkszeug mitzugeben, um die Gegenwart zu verstehen und vor allem, sie für Literatur zu begeistern. Literatur bietet die Möglichkeit, die eigene Realität aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten und somit eigene Zukunftsvisionen gestalten zu können.
Manchmal ist es sehr schwierig, es erfordert Organisation und etwas in den Hintergrund zu stellen, aber ich bin sehr stolz auf die unternommenen Schritte und die erzielten Ergebnisse. Es gibt keine Abkürzungen, die man nehmen kann. Wo Leidenschaft ist, wird die Last erträglicher. Ich versuche mich auf jeden einzelnen Schritt zu konzentrieren, ohne weiter zu denken. Vorschlag: Wäre man sich in den ersten Zeilen eines neuen Buches der Arbeit, der Zweifel, des Schlafmangels und der Müdigkeit bewusst, würde man nicht weitermachen. Aber es ist die Freude an jeder einzelnen Szene, an jedem Kapitel, das langsam Gestalt annimmt, das mich antreibt.


Ihr Interesse an Geschichte, auch der Südtiroler Geschichte, ist in vielen Ihrer Romane deutlich. Amailija spinnt sich entlang der schillernden Frauenfigur Margarethe Maultasch (1318-1369). Was lehrt Sie dieses Eintauchen in vergangene Zeiten?

Dem Mittelalter schenkte ich schon immer besondere Aufmerksamkeit. Und eine so moderne Figur wie Margarete Maultasch innerhalb dessen zu finden, was man als dunkle Zeiten und Stagnationszeiten bezeichnet, zwingt einen dazu, alle Kategorien zu revidieren, ja: sich von jeder interpretativen Kategorie zu befreien. Wir nähern uns der Geschichte und vergangenen Ereignissen oft mit einer Menge Vorurteilen und vorgefassten Meinungen. Und diese Überlegung leitet mich, wenn ich versuche, die Geschichte unseres Territoriums zu erzählen. Ich komme aus einer sprachlich und kulturell gemischten Familie und gehe gern unterschiedslos an die historischen Knotenpunkte oder Narben, die uns alle verbinden. Ich mag die menschliche und alltägliche Seite der Geschichte, die vom gemeinsamen Leben erzählt und uns so viel zu sagen hat.


Weitere Frauenfiguren tauchen auf. In der Kurzgeschichte Sirene geht es um Elisabeth Siddal (1829-1862), Geliebte des Malers Dante Gabriel Rosetti. Im Roman Le ragazze con le calze grigie stehen die ewige Muse von Egon Schiele, Wally Neuzil (1894-1917) und seine spätere Frau Edith Harms im Mittelpunkt. Was fasziniert Sie vor allem an den Frauen bekannter Künstler?

Diese Figuren lebten in einer Zeit, in der die Arbeit als Model bedeutete, als Prostituierte betrachtet und an den Rand der Gesellschaft gestellt zu werden. Ohne diese Frauen wäre aber die Kunst der Maler, die wir lieben und die wir in ihren Gesichtern sehen, nicht dieselbe gewesen. Wir schulden ihnen viel.
Selbst im Fall eines so verfluchten Künstlers wie Schiele war es sein Modell Wally Neuzil, die gerade mal über sechzehn Jahre alt war, die wirkliche Grenzgängerin. Schiele verdiente an seinen Gemälden, an seinen Akten, ebenso wie Klimt einen großen Teil seines Verdienstes aus den Aktskizzen bezog, die er sehr gut unter der Hand verkaufte. Ihre Models verdienten nichts, sie folgten ihrem Instinkt, ihrer Leidenschaft, ihrem Herzen und kämpften mit ganzer Kraft für die Freiheit, so zu sein, wie sie sich fühlten. Und oft verloren sie alles. Einigen, wie Elizabeth Siddal, gelang es, eine Karriere als Malerin zu ergreifen, aber die Gesellschaft vergab ihnen nie ihre Herkunft und ihre Rebellion.
Als wir uns die Welt versprachen, so der deutsche Titel von I Bambini di Svevia, ein Roman über die sogenannten Schwabenkinder, die über 300 Jahre lang, bis nach Kriegsende, vom Vinschgau, aber auch von Vorarlberg, Tirol, Liechtenstein und der Schweiz, nach Oberschwaben geschickt wurden, um dort zu arbeiten. Was ist das Aktuelle an diesem Roman?

Die Protagonistin Edna ist eine alte Frau mit einem Geheimnis. Sie führte ein zurückgezogenes Leben und verbarg das vergangene Leid, bis ein Zufall sie auf denselben Weg zurückführte, der sie als Kind auf einen Bauernhof in Schwaben und zu ihren schmerzlichsten Erinnerungen geführt hatte. Wir müssen uns aus Schichten von Angst, Vorurteilen, Reue und Schuld befreien, um uns wirklich zu finden: nicht perfekt, nicht ohne Fehler, sondern um uns in der authentischsten Version von uns selbst zu erkennen. Dafür gibt es kein Alter. Wir sind nie zu alt, um unsere Stiefel wieder anzuziehen und unsere Komfortzone zu verlassen, um zurückzugehen oder einen Sprung nach vorne zu machen: um genau an den Punkt zu gelangen, an dem wir immer sein wollten.


Aber ist nicht generell, und griffe man noch so weit in die Historie zurück, jeder Roman von Ihnen auf seine Weise aktuell – oder zumindest zeitlos? Und warum ist das so?

Alles, was uns vorangegangen ist, alle Entscheidungen, die andere getroffen haben; sie bilden den Humus, in dem unsere Wurzeln versinken. Deshalb finde ich es wichtig zu wissen, was passiert ist. Ich weiß nicht, ob die Geschichte wirklich etwas lehrt – der Krieg in der Ukraine ist ein schreckliches Beispiel dafür, ebenso wie der Krieg auf dem Balkan, der Europa einige Jahrzehnte nach dem Schrecken der Konzentrationslager erschütterte. Ich glaube jedoch, dass etwas fehlen würde, wenn wir uns dessen nicht bewusst wären.


Als wir uns die Welt versprachen wurde ins Französische und Arabische übersetzt. Wie unterschiedlich sind die Rezeptionen in verschiedenen Ländern über Ihren Roman, der in Italien große Erfolge feierte?

Es ist interessant zu sehen, wie eine Geschichte verschiedene Leser auf unterschiedliche Weise erreichen kann. Jede Ausgabe hat eine Farbe, einen Umschlag des Romans, zu ihrer eigenen gemacht. Tatsächlich ist es ein Buch, das zwei Seelen hat, die sich miteinander verbinden, die Gegenwart und die Vergangenheit, Reue und Hoffnung, Schrecken und die Fähigkeit, wieder gerührt zu sein und zu lachen, ohne das vergangene Leid zu vergessen. Schmerz macht unser Lächeln der Welt viel süßer und mutiger. Jeder Verlag hat einen Aspekt bei der Auswahl des Covers oder bei der Kommunikation mit den Lesern hervorgehoben.


Wie leben Sie in Meran?

Ich wohne in einer noch sehr grünen Gegend von Meran, einen Steinwurf von den Gärten von Algund und dem Tappeinerweg entfernt. Unser Panorama mit Schlössern, Weinbergen, Bergen, die diese Kulisse bilden und uns beschützen, ist weltweit einzigartig. Es ist mein Zuhause und ich könnte niemals darauf verzichten. Dorthin nehme ich immer Zuflucht, wenn ich die Natur und ihre Stille brauche.


Haben Sie in der Kurstadt Lieblingsplätze? Oder solche, die Sie schon zu weiteren Geschichten inspiriert haben?

Jeder Stein dieser Stadt, jeder versteckte Garten, jeder Innenhof ist eine Inspiration. Es gibt einen Ort, über den ich gerne sprechen würde, aber das ist eine sehr schwierige Geschichte. Ich liebe den Meraner Sommer, die Spaziergänge, die immer wieder sehr poetische Einblicke bieten. Ich liebe es, sich wie ein Tourist in der eigenen Stadt zu fühlen und diese mit anderen Augen zu sehen. Ich liebe das Meran der Straßenkünstler, seine Musiker. Ich glaube, dass gerade in den vergangenen Jahren sehr lebendige Kulturkreise entstanden sind. Die Covid-Zeit markierte einen abrupten Bruch. Doch ich denke, wir alle wollen uns wiedersehen und Kunst machen. Weil wir erkannt haben, wie sehr Bücher, Konzerte oder Theateraufführungen so unverzichtbar sind wie Essen. Sie sind lebenswichtig.


Gibt es Orte oder Menschen aus der Meraner Geschichte, die Sie inspirierten?

Im neuesten Roman "Das Erbe der Villa Freiberg" gehe ich von einem dieser magischen Orte aus, der Villa Freischütz. Die Menschen, die dort lebten, hinterließen uns Erinnerungen an den Alltag, aber auch eine Sammlung von Kunst und außergewöhnlichen Objekten voller Wunder. Ich interessiere mich sehr für die Geschichten von einfachen Menschen, die nie so gewöhnlich waren, wie es auf den ersten Blick scheint.


Die Stadt im Wandel der Geschichte …

Meran ermöglicht heutzutage ein entspanntes Leben und fußt in historischen Epochen, die mich faszinieren: die Römerzeit, das Mittelalter, das neunzehnte Jahrhundert, um bis zur Zeitgeschichte zu gelangen. Diese hat ihre eigene Musik. Wir sollten sie öfters hören und stolzer und selbstbewusster sein.


Woran arbeiten Sie derzeit?

Ein Kinderroman, an dem ich schon eine Weile arbeite. Das ist deshalb spannend, weil ich mit einem Karikaturisten zusammenarbeiten werde. Ich finde es immer sehr anregend, wenn die Künste miteinander reden, da kommt meistens etwas anderes raus, als man sich vorgestellt hat. Es ist so: das Vermengen bringt neuen Saft, neue Perspektiven, einen anderen Rhythmus, der dich zwingt, für einige Momente von deinem Eigenen abzuweichen.
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